Ein Jahr auf der Insel

So, heute ist es tatsächlich soweit. Ich kann es selbst kaum fassen. Ein ganzes Jahr lebe ich nun im nordenglischen Yorkshire. Zeit mal ein wenig Revue passieren zu lassen: Am 23. November 2014 landete eine Fähre im nordenglischen Hull. Darauf neben 600 Passagieren auch eine Berlinerin, ein Engländer und zwei Kätzchen. Nach einer über zwanzigstündigen Reise waren wir alle, besonders aber die kleinen Fellknäuel, sichtlich knülle. Ich kannte meine neue Heimat bisher nur von Bildern und einem virtuellen Rundgang auf Google Earth. Das sah alles jetzt schon ziemlich verlockend aus, aber als wir mit dem Auto schließlich in Slaithwaite einfuhren, klappte mir der Kiefer runter. Hier in einem der knuffigsten englischen Dörfchen, das geradewegs aus einem Charles-Dickens-Roman gepurzelt zu sein schien, zwischen grünen Hügeln, einsamen Hochmooren und alten Klosterruinen, Herz an Herz mit Schafen, Hochlandrindern und Moorhühnern würde mein neues Leben beginnen. Ich war außer mir vor Glück.

Die nahende Weihnachtszeit ließ alles in einem festlichen, kuscheligen Rahmen erscheinen, stukte mich aber auch sogleich ins kalte Wasser. Ich warf mein lausiges Schulenglisch über Bord und ließ mich auf den bodenständigen, herzigen Yorkshire-Akzent ein, kämpfte mich mehr oder minder erfolgreich durch den Alltag, sah mich mit Traditionen und Gewohnheiten konfrontiert, die es in ähnlicher Form zwar auch bei uns gibt, die aber doch ihre neckischen Eigenheiten besitzen. Trotz Sehnsucht nach Familie und Freunden, kappte ich nach und nach meine Berliner Nabelschnur, zumindest formal, und integrierte mich in allen Sparten des Lebens in das englische System.

Nach und nach lernte ich auch die Menschen kennen und stellte fest, dass ich mich unter ein äußerst gelassenes, lebensfrohes, humoriges Völkchen begeben hatte. Bald entwickelten sich daraus Freundschaften, gute Bekanntschaften, ein soziales Netzwerk, das mir ein Gefühl des Zuhauseseins vermittelte. Meine englische Familie und allen voran mein Engländer haben alles daran gesetzt, dass ich bloß nicht wieder one-way in den Flieger steige und mir einen sicheren Hafen gebaut, in dem ich mich pudelwohl fühlen und bedingungslos ich selbst sein kann.

Und ich traf auf Landsleute und Mitstreiter, die ebenfalls vor Jahren auf die Insel gezogen sind, um hier ihr Glück zu versuchen. Mein besonderer Dank gilt dabei zwei ganz wunderbaren Menschen, die mir mit ihrer offenen und liebenswerten Art dabei geholfen haben, bei zahlreichen Unternehmungen das Eis zu brechen und die Fremde als Heimat zu betrachten. An dieser Stelle liebe Andrea, liebe Judith, ein Hoch auf euch!!!

Was ist noch passiert? Durch meinen Magen rotierten kiloweise Pasteten, Fish and Chips, Currys, Yorkshire Puddings, allerlei Teegebäck und ich fand heraus, dass die englische Küche gar nicht so ungenießbar ist, wie immer behauptet wird. Ich tauchte ein in die englische Pubkultur mit ihrer heimeligen, entspannenden Atmosphäre, den atemberaubenden Bands, den offenherzigen Leuten am Tresen. Ich verlor mein Herz an eine Landschaft, die so voller Schönheit und voller Mythen steckt, dass es unmöglich ist, auf einem Spaziergang nicht ständig die Sprache zu verlieren. Um meine neue Heimat einzusaugen, sie mit allen Sinnen zu erfassen, habe ich den Norden durchlaufen, bin auf dem Pennine Way 429 Kilometer von Derbyshire nach Schottland gewandert, um am Ende dieser Reise zu erkennen: Ich bin angekommen. Mein Zuhause ist der englische Norden. Hier bleibe ich, hier gehöre ich hin.

Bleibt noch Danke zu sagen, an alle, die mich bisher auf meinem Weg begleitet haben und mit Rat und Tat zur Seite standen. Meine zauberhafte Familie, die mich mit Care-Paketen und lieben Nachrichten von daheim förmlich überschüttet, mir nicht übel nimmt, dass ich mich einfach aus dem Staub gemacht habe. Danke an all meine Freunde, die ich schweren Herzen zurücklassen musste, die sich aber trotzdem regelmäßig mit mir am Skypebildschirm verabreden. Danke an all meine lieben Bloggerkollegen und all jene, die meinen Blog so fleißig verfolgen. Ihr alle seid toll!!! Ich freue mich auf ein weiteres Jahr voller Abenteuer mit euch!!!

Allerliebste Grüße aus dem hohen Norden

von Eurer Steffi

5 Gedanken zu “Ein Jahr auf der Insel

  1. Auswandern ist schwieriger als gedacht, wir versuchen schon seid Monaten auszuwandern. Aber man muss alles gut durchdenken, es klappt nicht immer so wie man es sich vorstellt. Danke für den schön geschriebenen Beitrag.

    Lg sina

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    • Liebe Sina,
      herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar. Ich drücke euch fest die Daumen, dass euch die Auswanderung dennoch glückt. Natürlich ist es kein einfaches Vorhaben und es braucht schon sehr viel Durchhaltevermögen und Zuversicht, um bürokratische und sonstige Hürden zu überwinden. Die Planung und Umsetzung kostet Kraft, Schlaf und Nerven. Am Ende aber zahlt es sich meistens aus. Ich wünsche euch, dass es klappt. Alles Gute!
      Liebe Grüße von der Insel
      Steffi

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